Angst in der Juristerei
Schon vor einiger Zeit habe ich zusammen mit einer großartigen Kollegin einen Workshop mit der Rechtsabteilung eines großen Unternehmens gehalten. Im weitesten Sinne ging es dabei um Kommunikation und da ich mit diesen Themen sonst viel in anderen Branchen unterwegs bin, war etwas Besonderes für mich, mit lauter Juristen und ihren Mitarbeiterinnen zu arbeiten (ja leider, die Juristen waren ausschließlich Männer, die Mitarbeiterinnen Frauen). Und was soll ich sagen: es hat richtig viel Spaß gemacht! Von wegen trockene Juristen – wir haben viel gelacht und hatten eine Menge ehrlichen Austausch, was ich immer großartig finde.
Aber gruselig war es auch.
Was mir nämlich seitdem noch nachgeht ist die Schilderung eines Kollegen von einer Situation, die ihn richtig krass verunsichert hat. Dieser Kollege steckte in einer Telefonkonferenz in großer Runde, als ein weiteres Telefon klingelte. Er dachte, es sei die Assistentin des Geschäftsführers mit irgendeiner kurzen Info und entschied sich, sich in der Telefonkonferenz kurz stumm zu schalten und den Anruf entgegen zu nehmen. Die Assistentin allerdings wollte ihn direkt mit dem Geschäftsführer verbinden. Und die Reaktion unseres Kollegen war: großer Schreck und große Angst!
Schockstarre!
Dabei ging es überhaupt nicht um den Inhalt an sich, darüber haben wir gar nicht gesprochen. Er wusste einfach nicht, wie er sich verhalten sollte. Weil er meinte, den Geschäftsführer nicht auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten zu können und auch nicht zugeben wollte, dass er während einer Telefonkonferenz andere Dinge tat. Richtig schlimm war die Situation für ihn. Und alle anderen Teilnehmer in dem Workshop konnten ihn so gut verstehen. Weil sie den Geschäftsführer und seine offenbar schroffe Art kannten. Sie fanden das auch alles ganz normal und berichteten von weiteren gruseligen Momenten aus ihrem Alltag. Von Besprechungen, in denen jeder im Raum schweigen musste, wenn eine andere Vorgesetzte den Raum betrat zum Beispiel.
Und nebenbei wollte auch keiner der Teilnehmer eigentlich ein „normaler“ Jurist sein oder irgendwie mit den “normalen” Verhaltensweisen eines Juristen in Verbindung gebracht werden.
Ehrlich gesagt könnte ich so nicht arbeiten. Ein Umfeld, in dem ich nicht offen mit Vorgesetzten oder Kollegen sprechen könnte, in dem es vielleicht sogar Programm ist, dass Mitarbeiter Angst haben sollen.
Wieviel Energie geht da verloren!
Und es war ja ein intelligenter, erfolgreicher Mann mit langer Berufserfahrung und guter Position, reflektiert und humorvoll, der in diese Situation geraten ist. Tatsächlich scheint es so weit verbreitet mit der Angst, nicht nur in solchen Unternehmen, sondern auch in der Juristerei ansonsten. Wenn ich mit Kolleg*innen spreche oder die Posts in den sozialen Medien lese kommt immer wieder mal zur Sprache, was für ein Druck in der Juristerei herrscht und mit wieviel Arroganz einige Kolleginnen und Kollegen den anderen begegnen.
Das macht gar keinen Sinn.
Und führt bestimmt nicht dazu, dass das Bild der Anwaltschaft sich auch in der Öffentlichkeit positiv wandelt. Was so richtig toll wäre! So viele von uns sind total kreativ, lösungsorientiert, humorvoll, menschlich, innovativ. Sie zeigen sich nur nicht immer so, weil vermeintliche Erwartungen zu erfüllen sind.
Wir müssen auch da selbst loslegen
Und da die Dinge immer von Innen nach Außen wahr werden, dürfen wir genau dort anfangen, innen nämlich, bei uns. Indem wir uns gegenseitig respektvoll und mit Wertschätzung behandeln. Das funktioniert umso besser, je weniger wir vergleichen. Es ist doch egal, ob der Kollege oder die Kollegin auf der Gegenseite älter ist und deshalb alles besser weiß. Oder jünger ist und deshalb alles besser weiß. Oder ein dickes Auto fährt. Oder Fahrrad.
Wenn sich jemand schlecht benimmt, ist es offensichtlich gerade die für ihn bestmögliche Verhaltensweise. Die müssen wir aber nicht akzeptieren. Wir können ihn darauf aufmerksam machen, dass es noch andere Optionen gibt. Weil er oder sie es sonst möglicherweise gar nicht merkt. Gleichzeitig anerkennen, dass er auch ein Mensch ist. Einer, der die gleichen verrückten Examen gemacht hat wie wir und mit dem wir nun temporär in irgendeiner zu lösenden Situation stecken.
Sich gegenseitig Angst zu machen, ist da wenig hilfreich. Denn dann geht der Andere in die Verteidigung, es passieren Fehler, so viel Energie und gute Ideen werden blockiert durch einen Nebenschauplatz. Aus meiner Sicht kann das weder ein Unternehmen gebrauchen noch die Gruppe von Menschen, die im Gerichtssaal oder Verhandlungsraum mit den Problemen anderer Menschen arbeitet.
Lasst uns uns mal gegenseitig die Angst nehmen.
Habt ihr auch solche Situationen erlebt? Schreibt mir wie immer gern über hallo@inspiredlaw.de welche Gedanken ihr dazu habt. Für mehr Leichtigkeit und gute Laune komm auch super gern auf meinen Newsletter, falls du noch nicht dabei bist - oder schau direkt im Coaching vorbei. Ich freue mich auf dich!